Daniel in der Löwengrube

   
 
AUTORIN: CORINNA WAGNER

Daniel Küblböck , 17 Jahre, geradlinig, schrill, ehrlich, manchmal spacig, bisweilen auch nur seltsam anzuschauen. Vermutlich ist er das unschuldigste Wesen, das sich seit Heidi im Fernsehen getummelt hat, mit einem ungeheuer lebendigen und ausdrucksvollen Gesicht, das intensive Gefühle unverhüllt wiederspiegelt, - und damit kommen viele Menschen nicht zurecht. Auf absurde Weise schwappen derzeit die Emotionen in den deutschen Wohnzimmern über, hysterische Teenies, seufzende Mütter und räsonnierende Väter - Polemik bis zum Abwinken. Was macht Menschen zu Daniel-Hassern? Warum ist uns der Junge denn so gar nicht egal?

Freitag kurz vor Mitternacht bei Johannes B. Kerner im ZDF: sehr jung und zweifellos hübsch sitzt Daniel K. zwischen den älteren Herrschaften und hat gewisse Schwierigkeiten, einen zusammenhängenden Satz herauszubringen; nicht unbedingt auf Grund mangelnden Intellekts, sondern womöglich auch aus dem verständlichen Staunen eines 17-jährigen über seine unwahrscheinliche Lage heraus. Wie meist ist er jedoch, was selbst der gestrenge 32-jährige Star-Choreograph einräumen muss, auf seine Art von entwaffnendem Charme, was auch den "alten Sack" Kerner (o-Ton Kerner) nicht unberührt lässt. Vorgeblich eingeladen zur Berichterstattung über sein Leben vor RTL muss Daniel sich unversehens gegen massive Angriffe zur Wehr setzen: Wie konnte er so vermessen sein, ohne stimmliches und tänzerisches Können den Wunsch zu hegen, ein Star zu werden, und, schlimmer noch, dies mit sichtlichem Erfolg!
Sollte er wirklich, wie der aufgeblasene Bro'Sis-Trainer forderte, eine Gesangsausbildung und den perfekten Auftritt mitbringen, um guten Gewissens an einer RTL-Ausschreibung teilzunehmen? Wie lauteten doch gleich die RTL-Regeln? Es fehlte nicht viel zu der Forderung, er solle freiwillig den Wettbewerb verlassen, um die Chancen der "rechtmäßigen" Teilnehmer nicht zu schmälern. Gesegnet sei Dagmar Koller, deren Bühnenerfahrung die des 32-jährigen Promi-Schnösels mit Sicherheit um ein Vielfaches übertrifft, für die Art und Weise, wie sie sich um den perplexen Bub kümmerte.

Nur 24 Stunden später: Was bringt die Macher der Comedy-Show Freitag Nacht News, merkwürdigerweise eine RTL-Produktion, dazu, in der denkbar geschmacklosesten Art und Weise über einen 17-jährigen herzufallen, der noch nicht gelernt hat, sich zu verstellen? Dümmlich-gemeine Witzchen hämischer Comedy-Heinze auf Kosten eines Jugendlichen und, als ob das noch nicht reichen würde, die Ausschlachtung der Aufzeichnung von Daniels wenig würdevollen Momenten bei Gracias Ausscheiden - war das wirklich nötig?

Die meisten von uns haben ihre Unschuld längst verloren, wir glauben nicht mehr an den Weihnachtsmann. Daniel Küblböck glaubt noch daran und dafür lieben oder hassen wir ihn, je nach Charakter und persönlicher Lebenserfahrung..

Während ihm die einen fasziniert applaudieren, weil er sich schrill, nett und scheinbar ohne erkennbare Leistung millionenfache Sympathien erwirbt, ist genau das für Leistungsfreaks schlichtweg unerträglich - der hat das nicht verdient!

Bei Daniel K. ist kein zielstrebiges Verhalten a la Juliette erkennbar, die seit frühester Jugend Ballett- und Gesangsausbildungen absolvierte, er signalisiert auch nicht eben die totale Anpassungsbereitschaft wie der begabte, aber ansonsten gesichtslose Alexander. Ein stimmlich nicht gerade begnadeter Herbert Grönemeyer muss halt auch erst ein grausames privates Schicksal öffentlich verarbeiten, um die Deutschen bei der Echo-Verleihung zu (durchaus berechtigten) Standing Ovations hinzureißen. Bei uns muss man was geleistet haben, um Anerkennung zu ernten - wie so oft stehen sich die Deutschen in Sachen Gefühl selbst im Weg.

Im herkömmlichen Sinn hat Daniel K. bisher eher Unbedeutendes geleistet. Undurchsichtige Familienverhältnisse, Hauptschulabschluss und nicht zuletzt die kaum karriereorientierte, aber für ihn stimmige Berufswahl zum Kinderpfleger machen ihn umso mehr zu einem Zwitterwesen mit Igitt-Faktor, eine Bedrohung für jeden ordentlichen deutschen Mann. Was hat so einer, das ich nicht habe? Offenbar eine Menge.
Klar, manche Töne trifft er nicht und seine Aussagen sind bisweilen ziemlich kryptisch, aber wie der Stern früher bereits feststellte - man kann ihn nicht blöde finden, selbst wenn man sich anstrengt. Gefährliche Tendenzen sind Daniel K. fremd, er sieht sich nicht als Prolo oder Chaot, und seine politischen Ansichten, soweit erkennbar, entsprechen durchaus dem derzeitigen Trend, der auch bei der Echo-Verleihung wiederholt thematisiert wurde. Wenn Daniel auch bisweilen leicht debil erscheint, was er nicht ist, dürfte er in Sachen Menschenliebe seinem Alter und seinen Hassern weit voraus sein. Er hat die seltene und beneidenswerte Gabe, jeden halbwegs offenen Menschen zu positiven Gefühlen zu bewegen, sei es Sympathie, gute Laune, Toleranz, oder gar Liebe - wollen wir das nicht?

Daniel strahlt. Man liebt ihn um seiner selbst willen, mitsamt seinen dämlichen Sprüchen über positive Energie; er ist ein Phänomen, das einer Leistungsgesellschaft wie der unsrigen so fremd geworden ist wie ein Einhorn, Ally McBeal lässt grüßen.

Was die Töne betrifft - das dürfte ja wohl hinzukriegen sein. RTL und Dieter Bohlen haben schon ganz andere Dinge zuwege gebracht, was auch Dagmar Koller verwundert konstatierte. Im übrigen hat Daniel durchaus Stimme, eine ungewöhnliche zwar, aber im richtigen Kontext durchaus faszinierend und mit einem hohen Wiedererkennungswert - was will man mehr? Bohlen hatte damit jedenfalls offenbar kein Problem - bei fast jedem Song der kürzlich erschienenen Superstars-CD ist Daniel zu hören und "sein" Song "Superman" hebt sich wohltuend aus dem Gefühlsschmus des gesamten Machwerks hervor. Wie die anderen von Bohlen komponierten Songs stellt er keine intellektuelle Glanzleistung dar, besticht aber durch Daniels Ausstrahlung, die auch auf der CD zu spüren ist, und nicht zuletzt durch eben diese Stimme.

Auf Küblböcks Äußerungen, er übe wie ein Schweinehund, um seine Kritiker zufrieden zu stellen, und er vertraue auf die Menschen, die ihn lieben, seine Fans - , salbaderte das RTL-Hausblatt Bild prompt, er drohe (?) mit Sieg und sei dem Größenwahnsinn anheim gefallen. Daniel K. hat längst eine ungewöhnliche Leistung erbracht - wie sonst hätte er es denn je aus 10.000 Bewerbern unter die letzten 3 schaffen sollen? Daher stellt sich jeder, der gegen Daniels Erfolg wettert, selbst ein Armutszeugnis in Sachen Demokratie aus, und RTL befindet sich tatsächlich in einem argen Dilemma - es will das innerhalb der hauseigenen Maschinerie groß gewordene Produkt Daniel loswerden, ohne sich selbst zu kompromittieren, ein schwieriges Unterfangen.

Jetzt muss Daniel also weg - Perfektion ist gefragt, Sympathie hin oder her. Gnadenlos wird mehr oder weniger subtil eingegriffen, um etwas aufzuhalten, das man selbst ins Rollen gebracht hat und über das man, was ohnehin selten geschieht, die Kontrolle verloren hat. Dafür greift man zu allen Mitteln, wie die TV-Shows und nicht zuletzt die RTL und VOX-Produktionen zeigen, die sich mit den abendfüllenden Aktivitäten der angehenden Superstars beschäftigen. In den vergangenen Tagen ist die Berichterstattung dazu übergegangen, das Traumpaar Alexander und Juliette von Daniel zu separieren - sind die zwei nicht schon Routiniers, perfekt, cool und so richtig zum Vorzeigen? Halt Glamour pur? Ohne Daniel fliegen sie nach Berlin, schon komisch ohne ihn, ja doch, aber eigentlich auch kein Problem, nein ... Schließlich wollen die ehrgeizigen Kandidaten den richtigen Ton treffen, und der lautet jetzt: Daniel brauchen wir nicht mehr.

Hier wird sich die Macht der Medien zeigen - gelingt es ihnen, den erst Siebzehnjährigen routiniert und unbarmherzig auszubooten? Es käme einem Verbrechen gleich. Daniel selbst bat in bemerkenswert normalem Ton bei Kerner den eifernden Choreografen, er sei doch erst 17, man möge ihn zumindest ausreden lassen - nix da, er müsse Härte zeigen, sonst habe er im Show-Biz nichts verloren! Wollen wir das wirklich?

Andererseits zeigt die Kampagne, wieviel Macht der 17-jährige tatsächlich schon besitzt - wie Thomas Bug (noch) wohlwollend in der 6. Mottoshow bemerkte, sei Daniel ein Phänomen: er habe alle Gesetze, die für Veranstaltungen dieser Art gelten, außer Kraft gesetzt - und wenn er keine Fehler macht, könnte ihm das auch weiterhin gelingen. Zu Recht fürchtet man die Geister, die man rief - die Hetzkampagne kann ins Auge gehen. RTL und seine Fernsehmacher stehen nicht gut da, wenn der unschuldige Daniel unabsichtlich zum Märtyrer einer erbarmungslosen Maschinerie wird, zum Helden einer Generation, die sich ihren Superstar nicht vorschreiben lässt.

Daniel Küblböck ist derzeit mit Sicherheit die verletzlichste und angreifbarste Person der deutschen Medienlandschaft. Doch gerade auf Grund seiner menschlichen Integrität hat er die größten Chancen, aus dem selbstgewählten Crashkurs in Sachen Lebenserfahrung zwar angeschlagen, doch im Grunde seiner Seele hoffentlich unbeschadet hervorzugehen. Ganz gleich, wie das RTL-Spektakel endet, ein Superstar ist er schon jetzt für Millionen von Fans.

Daniel, möge die Macht weiterhin mit Dir sein! Zeig es den alten Säcken!