Musik im Theater - "Music do I hear"
„Music do I hear? …“
Musik im Theater
Als ich noch zur Schule ging, ich war so 14/15 Jahre alt, hatte meine Mutter ein Theater-Abo. Wenn sie sich abends nicht mehr zu einem Theaterbesuch aufraffen konnte, durfte ich hingehen und fand es wunderbar. Ich denke noch manchmal z.B. an die „Mutter Courage“, die sich mir mit ihren Bildern, den Worten und dieser besonderen Musik, wie ich bis dahin noch keine gehört hatte, als ein tiefes Erlebnis einprägte. Theater kannte ich bis dahin nur aus Schulaufführungen – da gab es keine Musik.
Das führt mich jetzt zu der Frage: Theater und Musik - wie ist eigentlich die Musik ins Theater gekommen? War sie vielleicht immer schon da als ein Element von Schauspielaufführungen?
Antworten fand ich in einem Buch über Theatergeschichte, nämlich dass bereits das antike Theater Griechenlands kein reines Sprechtheater war, sondern dass es Dichtkunst, Musik und Schauspielkunst vereinte.
Die Musik hatte an der mächtigen Wirkung antiker Tragödien sogar einen Hauptanteil, wobei nicht nur die Chöre eine Rolle spielten, sondern auch Einzelreden wurden gesungen.
Seit der griechischen Antike ist also Musik Bestandteil des Europäischen Theaters. Wobei das Verhältnis zwischen Text und Musik und der Stellenwert der Musik in den verschiedenen dramatischen Gattungen und Traditionen zwar im Laufe der Zeit einem ständigen Wandel unterworfen war, aber Theaterformen, die auf Musik ganz verzichteten, waren eher die Ausnahme.
Für eine lange Zeit ist Schauspielmusik grundsätzlich als (dem Wort) dienende Kunst verstanden worden. Sie war kaum mit der eigentlichen Bühnenhandlung verbunden, sondern fungierte als Lückenfüller. Und war Musik tatsächlich mal auf eine konkrete Inszenierung und als ihr integraler Anteil konzipiert, war sie nachgeordnet, sowohl was die Chronologie ihrer Entstehung betraf als auch die Rangordnung ihrer künstlerischen Relevanz. Sie verstärkte, umschrieb das Bühnengeschehen oder widersprach ihm.
Aber zurück zum Sprechtheater: Im elisabethanischen Theater (1558-1625) war Musik ein dazugehöriges Element. In Shakespeares Stücken waren die Lieder die Weiterführung der Sprache in den emotionalen Bereich. Von seinen 37 Theaterstücken enthielten nur sechs keine Lieder. Leider sind die Liedtexte Shakespeares, anders als die zugehörigen Stücke, kaum erhalten.
In einem alten Buch fand ich eine Beschreibung „in welchem Umfang die Musik auf dem Shakespeare-Theater zur Anwendung kam“.
Während des Spiels wurde das Nahen königlicher Personen durch schmetternde Trompeten angekündet. Trompetenstöße ertönten auch während eines Trinkspruchs bei einem Bankett. Ging es in einem Shakespearestück um die Schilderung einer Schlacht, kamen häufig auch Trommeln zum Einsatz. Die Soldaten zogen, begleitet von Trommel- und Trompetenklängen, in die Schlacht.
Um ein Traumbild, eine Rede oder den Zauber der Nacht eindrucksvoll auf die Sinne des Publikums wirken zu lassen, wurde dies mit sanften Tönen untermalt. Auch der Auftritt von Geistern wurde musikalisch begleitet; die Musik sollte Heil- und Beruhigungsmittel sein. Tänze und Reigen auf der Bühne wurden von Orchesterklängen begleitet. Auch wenn ein Ständchen gebracht, eine Maskerade oder ein Festzug ausgeführt wurde, war die Musik ein selbstverständliches Erfordernis.
Nicht selten kam es vor, dass die Musiker – je nach den Erfordernissen einer Szene - ihren Platz in der Loge rechts neben der Bühne verließen und oft auch maskiert zwischen den Schauspielern auf der Hauptbühne erschienen. Oder sie spielten ihre lustigen Tanzweisen von der Oberbühne herab in den Festsaal. Manchmal spielen sie auch – für die Zuschauer nicht sichtbar - hinter oder auch unter der Bühne.
Die beliebtesten Instrumente eines Shakespeare-Orchesters waren: Trompeten, Trommeln, Lauten, Pfeifen, Flöten und Oboen.
(nach „Shakespeare und seine Zeit“ von Ernst Sieper, B. G. Teubner Verlag, Leipzig 1913)
Molière (1622 – 1673) hat Musik und Balletteinlagen mit seinen Komödien verbunden. Grund dafür war die Vorliebe von König Ludwig XIV.: er mischte sich gerne in das Bühnengeschehen ein und wirkte darin als Tänzer mit. Daraus entwickelt sich die „Ballettkomödie“ (frz. „comédie-ballet“) als Mischform zwischen humorvoller Komödie und elegantem Hoftanz.
Im 18. und frühen 19. Jahrhundert kam kaum eine Theateraufführung ohne Musik aus, manchmal waren es nur einfache Lieder oder Flötenstücke, manchmal Orchestermusik mit Tänzen und Ouvertüren. Es war eine theaterverrückte Zeit. Allerdings hat nur ein Bruchteil der Theatermusik aus dieser Zeit überlebt, wie beispielsweise Felix Mendelssohn Bartholdys Musik zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ und zu Sophokles‘ Tragödie „Antigone“, Edvards Griegs „Peer Gynt“ zum gleichnamigen dramatischen Gedicht von Henrik Ibsen oder auch Ludwig van Beethovens Schauspielmusik zu Goethes Drama „Egmont“.
Anfang des 20. Jahrhunderts, während die musikalisch-szenischen Großprojekte Max Reinhardts ihre großen Erfolge feiern, erfindet das Theater lauter neue Formen. 1919 gründet Walter Gropius das Bauhaus. Auf der Grundlage der Gesetze der Architektur, des Raums, der Farbe, des Tons und des Lichts will die Bauhaus-Bühne eine „Grammatik der Bühnenelemente“, eine „tänzerische Mathematik“ erarbeiten. Leopold Jessner und Erwin Piscator beziehen mit ihrer Theaterarbeit politisch Stellung. Anfang der 1920er Jahre gründet Piscator in Berlin das „Politische Theater“ und inszeniert mit der Revue „Roter Rummel“ eine Politschau unter Verwendung von Musik, Chanson, Akrobatik, Projektion, Film, Schauspielszene, Ansprache – und ein Jahr später die Mammutrevue „Trotz alledem“ – dem Versuch eines „dokumentarischen Dramas“, bei dem 2000 Akteure mitwirken.
Politisches Theater in dieser Zeit ist natürlich mit dem Werk von Bert Brecht verbunden. Bertolt Brecht (1898 – 1956) und seine musikalischen Weggefährten markieren im Theater den Beginn eines neuen Zeitalters von Musik im Schauspiel. Es tauchen neue Begriffe auf: Songspiel, Bühnenstück mit Musik, epische Oper…
Zusammen mit Kurt Weill entwickelt Brecht das Konzept einer „gestischen“, also zeigenden, vorführenden, nicht auf Einfühlung spekulierenden Musik und trennt die „Elemente“. Jedes Element ist selbstständig und hat in sich seinen Wert. Text, Musik, Bühnenbild usw. sollen sich nicht mehr gegenseitig unterstützen, sondern einander kommentieren und „verfremden“, um das Publikum zum kritischen Nachdenken anzuregen. So können Text und Musik dialektisch entgegengesetzte Rollen spielen, während das Bild dazu einen Kommentar liefert. Oder eine banale Musik funktioniert als Verfremdungseffekt gegen einen sozialkritischen Text.
Das Einfügen von Songs in die Stücke, die den Schauspieler aus der Spielszene heraustreten und sich unmittelbar an das Publikum wenden lassen, hat die Funktion von Kommentaren.
Zu Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ (1941) schreibt Paul Dessau die Musik. Die eingestreuten Songs haben handlungsbrechende Funktion. Dessau: „Die Musik braucht sich nicht mehr zu schämen, dem Wort zu dienen. Sie ist nicht mehr bloß Aufputzer fürs Wort, sondern sein Kommentar“.
Die BRD der 1950er Jahre, die „Ära Adenauer“, ist die große Zeit des „Intendanten-Theaters“, zentrale Kategorie: Werktreue. „Keine Experimente!“, der Slogan der Regierungspartei für den Bundestagswahlkampf 1961 gilt auch für das Theater dieser Zeit.
In den 60er Jahren drängt eine neue Generation von Regisseuren in die etablierten Theater. Vom Theater wird konkreter Zeitbezug eingefordert. Das „gesellschaftliche Establishment“ wird zum Feindbild erklärt. Nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Asyl wird Erwin Piscator 1962 zum Direktor der Freien Volksbühne in Berlin berufen und leitet eine neue Entwicklung politischen Theaters ein, das sich an der „politischen Wirklichkeit“ orientiert. Er bringt dort die Uraufführungen der wichtigsten Dokumentarstücke heraus. Die Bühnenmusik komponiert Luigi Nono. Piscator leitet an dieser Bühne eine politisch wie künstlerisch ambitionierte Entwicklung ein. Claus Peymann übernimmt 1966 die künstlerische Leitung des „Theater am Turm“ (abgekürzt TAT) in Frankfurt. Die Uraufführung von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ ist der „Durchbruch der Jugend“ im Theater der BRD.
In den 70er Jahren wird der Begriff „Werktreue“ im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit den Problemen der Zeit neu definiert. Auch der Terminus „Regietheater“ taucht auf im Zusammenhang mit Kritik an vermeintlicher Willkür im Umgang mit den Texten der Dichter, er beeinflusst die Wahrnehmung des Theaters, polarisiert das Theaterpublikum.
Bis zur deutschen Wende zieht das Theater seine Aufgabe aus seiner Kritik und seinem Widerspruch gegen die Verhältnisse. Es zeigt die Wahrnehmung der Wirklichkeit: Kenntnisnahme der deutschen Geschichte, der Verbrechen, der Verantwortung.
Es steht immer unter politischer Spannung.
Als die politischen Konfrontationen sich Mitte der achtziger Jahre verlieren, markieren sie Endpunkte des dramatischen Theaters, des Theaters, das sich ableitet von dramatisch zupackenden Stücken, die öffentliche Diskussion hervorrufen.
Neben dem öffentlichen Theater bildet sich in Westdeutschland eine zweite Theaterszene aus, die „Anti- oder Underground-Theater“, später „Off-Theater“ und noch später „Freie Theater“. Beide Szenen nähern sich Ende der achtziger Jahre an. Etablierte Häuser richten sich Nebenbühnen für die Wilden aus der freien Szene ein.
Als Frank Castorf nach der Wende die Volksbühne in Berlin übernimmt, kommt mit ihm die Stücke-brechende und Stücke-verwandelnde Castorf-Schule ins gesamtdeutsche Theater. „Nirgendwo werden die ironischen Energien, der polemische Übermut, werden auch die neuen Techniken von Fernsehen und Video so szenen- und bühnennah, so die Bühne belebend und perspektivierend, so die Schauspieler treibend eingesetzt wie hier. Viele Aufführungen auf den großen Bühnen leben heute noch von diesen Impulsen.“ (Deutschlandfunk: „Die Zerstörung der Zeitmaschine“13.05.2007) http://www.deutschlandfunk.de/die-zerstoerung-der-zeitmaschine.1184.de.html?dram:article_id=185223
Das Theater ist in Bewegung - und es war immer in Bewegung – ein Spiegel des Lebens, der sich ständig ändernden Gesellschaft. Es gab und gibt den Zuschauern Anregungen zur Reflexion über sich und die Welt, in der sie leben. Es dringt in die Köpfe und Herzen der Zuschauer und stellt Fragen, gibt Denkanstöße und eröffnet Perspektiven. Es ist ein Ort für Emotionen in unserer kontrollierten Welt. Ich denke, die Musik, die ein starkes Ausdrucksmittel ist, wird im Theater immer eine Rolle spielen.
Text: Evelyne Dörning
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Fotos: Pixabay
Collage P. Grabienski