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Gute Nacht
Zur Erhaltung unserer Leistungsfähigkeit nutzen wir regelmäßig einen Entspannungszustand mit Herabsetzung des Bewusstseins, im allgemeinen als Schlaf bekannt. Um dabei ein Höchstmaß an Bequemlichkeit zu erreichen, hat der Mensch das Bett erfunden, in das auch ich mich Nacht für Nacht begebe, um morgens erfrischt und munter mein Tagwerk neu zu beginnen. Oh, ich habe an alles gedacht, um den Erfolg zu optimieren. Wirbelsäulengerechter Lattenrost mit körperunterstützenden Eigenschaften und Komfort-Zonen im Schulter Beckenbereich, dem Gewicht angepasste Matratze mit thermisch vergütetem Federkern.
Noch kurz das Kopfkissen aus sibirischem Gänseflaum aufgeschüttelt, die Bettdecke mit Extrakammern für gleichmäßige Wärmeverteilung über mich gezogen. Licht aus, gute Nacht. Zuerst ist es mehr wie eine Ahnung. Ein sanfter Druck in Schienbeinhöhe.
Ein Druck, der sich stetig verstärkt, sich über meine Waden wälzt, mein Bein zur Seite drängelt und sich schließlich in Kniehöhe zum Kater materialisiert, der, eine Ewigkeit tretend und trampelnd, endlich als runder Katzenkringel in die entstandene Mulde sinkt. Noch ein wohliger Seufzer, ein höchst zufriedenes Brummeln, bald künden leise Schnarcher von einem tiefen Katerschlaf. – Nun denn. Ich sortiere mich wieder zurecht. Arrangiere mich mit dem knappen Platz. Meine Muskeln finden erneut Entspannung in der horizontalen Version eines „grand plié“: Beine angewinkelt, die Knie beidseitig jeweils nach außen gedrückt. Ist nicht weiter störend. Ich habe inzwischen gelernt, auch in Ballett-Positionen zu schlafen, wenn es nicht anders geht. Nochmals gute Nacht. Gedanken werden zu Wattewölkchen, entschwinden am Bewusstseins-Horizont.
Es ist kein Alptraum, der mich jäh aus der Tiefschlaf-Phase schreckt. Nur vier Kilo Lebendgewicht, die im Schlusssprung auf meinem Brustkorb landen – bmpf! Wie Reanimation durch Herzmassage. Im Schock greifen meine Hände ins Dunkel. Oh nein, nicht schon wieder! Ich kenne diese Katze. Auf deren Seite erfreutes Schnurren: „Ach wie nett, du bist noch wach...!“ Aufforderung zum Spielen. Mitten in der Nacht! Eine kleine Pranke parkt in meinem Gesicht. Ich gehe auf Tauchstation unter der Decke. Über mir die wilde Jagd. Dreiecksprünge. Kratzen. Graben. Bisse ins Plumeau. Jede Bewegung von mir löst weitere Hoffnung auf Mäuse aus. Einzige Chance: In Reglosigkeit erstarren. – Aha. Über mir kehrt Ruhe ein. Ein kleiner getigerter Körper ringelt sich in Schlafposition. Alles okay? Ich tauche wieder auf und drücke mich vorsichtig – bloß nicht wecken! – an das weiche Katzenfell. Ist doch immer wieder tröstlich, etwas Warmes, Lebendiges im Arm zu halten, wenn man nachts nicht schlafen kann. Jetzt aber gute Nacht.
Zwischen meinen Knien entringelt sich der Kater zu einer langen Schlummerrolle. Positioniert sich quer. Die Nutzfläche meines Lagers – um die Hälfte reduziert. Ich robbe bis zum Anschlag nach oben. Aus dem „grand plié“ wird so was Ähnliches wie die Schlusspose vom „Sterbenden Schwan“. Hört sich schlimmer an, als es ist. Unbehaglich nur die Kälte, die mein linkes Bein umfängt. Im Bett war kein Platz für beide. Zum Ausgleich wird mein restlicher Körper von lebenden Pelzdecken aufgeheizt. Nun aber wirklich gute Nacht.
Als nächstes ein Gewicht auf dem Schlüsselbein. Rhythmisches Getrete zweier Vorderpfoten: rechts, links, rechts, links... Nadelspitze Krallen akupunktieren meinen Oberarm. Endlich fertig gestrampelt. Ein Fellberg schiebt sich vor mein Gesicht. Jeder Atemzug saugt kribbelndes Katzenhaar ein. Meine Nase kämpft. Sie kämpft einen verlorenen Kampf, arbeitet sich aus dem Kribbelbereich: Kopf überstreckt in den Nacken, extrem nach rechts verrenkt. Die Niesanfälle ebben ab. Der Atem fließt wieder leicht und frei. Nur ein lautes, vibrierendes Schnurren massiert mein linkes Trommelfell. Ein kleiner, stetig summender Motor. Einschläfernd, gemütlich, herzerwärmend. Endlich gute Nacht.
Das Klingeln des Weckers kommt wie immer zu früh. Ich wache auf und bin erstaunt. Liege irgendwie komisch da. Aufschluchzen würde mein Orthopäde, könnte er mich so sehen. Arme und Beine monströs verwinkelt. Der Nachtschrank dient dem Kopf als Stütze. Meine Knie umschließen noch immer die Senke, in der ich den Kater vermute. Doch der ist längst nicht mehr da. Die Katzen sind schon aufgestanden. Endlich Platz im Bett. Ich sammle mich wieder zusammen. Dehne die schmerzende Wirbelsäule. Massiere den verspannten Nacken. Habe ich doch die falsche Matratze? Meine Komfort-Matratze mit Gütesiegel! Von Schlafwissenschaftlern empfohlen. Was soll man von solchen Empfehlungen halten? Ich sollte vielleicht reklamieren. Doch erst einmal raus aus dem Bett. Denn in der Küche warten auf ihr Frühstück drei ausgeruhte Katzen. Guten Morgen.
von Nira