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"Der jüngste Tag"

Das Szenenstudium der Klasse 2a zum Ende des 5. Trimesters wurde im ETI Anfang April 2017 präsentiert.
Unter dem Titel "Ein guter Freund" hatte die Klasse Szenen aus Stücken von Ödön von Horváth (1901-1938) einstudiert -aus „Der jüngste Tag“ und „Italienische Nacht“.

Der Ankündigungstext fürs Szenenstudium zitierte folgende Zeilen aus Horváths Drama „Der jüngste Tag“:

"Weiberl, Weiberl sei doch nicht so hart,
Schau, die kleinen Mädchen sind so zart.
Kennst du nicht den Spruch, den alten,
Lass die Herzen nicht erkalten.
Weiberl, Weiberl sei doch nicht so hart."



Daniel spielte die Rolle des Thomas Hudetz. Das Stück erschien 1937, die erste Buchausgabe aber erst 1955. Die Uraufführung fand am 11.12.1937 am Deutschen Theater in Mährisch-Ostrau statt. Der Theaterkritiker der Ostrauer Zeitung schrieb dazu am 13.12.1937:

„Die Tragödie des simplen Stationsvorstands Thomas Hudetz mögen Sie aus den tristen Familienverhältnissen dieses primitiven Menschen und seiner beschränkten Umwelt deuten; sie ist weiter eine Folge seiner unglücklichen Ehe, die die Zeichen eines großen Altersunterschieds, die Zeichen von Gleichgültigkeit und anhebender Erkaltung in sich birgt und eben einmal zum Ausbruch kommen musste. Soziologisch betrachtet ist Hudetz das Opfer eines Rationalisierungssystems, das den Menschen ganz und gar verbraucht, ihm keine Erholung und freie Zeit gönnt, woraus sich dann eine seelische und physische Erschöpfung ergibt, die in diesem Fall zur Vernachlässigung der Dienstpflicht führt und eine furchtbare Eisenbahnkatastrophe heraufbeschwört. Inwiefern die Gastwirtstochter Anna, die für den einsamen Hudetz Zuneigung empfindet, an der Katastrophe mitschuldig ist, und durch ihre impulsive Liebesbezeugung die in der Luft liegende Spannung zum Entladen bringt, ist grausame Parallelität subjektiver und objektiver Tragik. Diese Erklärung aus der derzeitigen Gesellschaftsordnung ist real, eindeutig - aber es bleibt noch ein Rest da und der ist undeutbar, der kann nur mitempfunden, mitgefühlt werden. Diesen Abgrund der Tragik restlos deuten zu wollen, hieße eine wahrhaft große Dichtung entschleiern, sie ihres Zaubers berauben wollen.“
Ostrauer Zeitung, 13. Dezember 1937

Horvath selbst sah sich als "dramatischer Chronist", als Autor einer neuen, epischen Form des Volksstückes, hinter dem oft bitterböse Ironie steckt. Die Figuren in seinen Geschichten entstammen meistens einem kleinbürgerlichen Milieu. Durch einen sozialkritischen Blick auf die Menschen zeigt Horváth eine moralisch festgefahrene Gesellschaft mit all ihrer Engstirnigkeit, Intoleranz und ihrer Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren. „Was gesagt wird, ist wichtig – und auch, was nicht gesagt wird.“ „Möglichst rücksichtslos gegen Dummheit und Lüge“ wolle er sein, meinte Horváth zu „Der jüngste Tag“. Das Stück ist ein Drama über Schuld und den Umgang damit. Es geht um Bewusstsein, Verdrängung, Wahrheit und auch um gesellschaftlichen Druck und bürgerliche Moral.


Thomas Hudetz, unglücklich verheiratet mit einer 13 Jahre älteren, krankhaft eifersüchtigen Frau, ist Bahnhofsvorsteher in einem kleinen Ort. Die junge und hübsche Wirtstochter Anna, die heimlich in ihn verliebt ist, verwickelt ihn in ein Gespräch und gibt ihm gerade in dem Augenblick, als er ein Signal betätigen soll, in einer Art kindlichem Leichtsinn einen Kuss – auch um seine Frau zu ärgern, die alles vom Fenster aus beobachtet. Hudetz setzt das Signal verspätet mit fatalen Folgen: Zwei Züge rasen ineinander. 18 Menschen sterben… Hudetz fühlt keine Schuld. Beim nachfolgenden Prozess sagt Frau Hudetz gegen ihren Mann aus. Anna aber schwört, dass Hudetz das Signal rechtzeitig betätigt hat. Man glaubt der Aussage von Anna und Hudetz wird freigesprochen. Die Bürger des Örtchens feiern ihn als Unschuldigen. Anna fühlt, dass sie eigentlich schuld an dem Unglück ist. Von Gewissensnöten geplagt bittet sie Hudetz um eine Zusammenkunft für ein vertrauliches Gespräch, abends, an einem entlegenen Ort. Hier gesteht sie ihm, dass sie mit ihren Schuldgefühlen nicht leben könne und sterben wolle. In einer Umarmung tötet Hudetz Anna und flieht. Er gerät unter Verdacht. Durch Zufall fällt ihm Annas Sterbebildchen in die Hände mit dem Text:

„Halte still, Du Wandersmann
Und sieh Dir meine Wunden an
Die Stunden gehn
Die Wunden stehn
Nimm Dich in acht und hüte Dich
Was ich am jüngsten Tag über Dich
Für ein Urteil sprich“



Hudetz wird nachdenklich, denkt an Selbstmord. Das mühsam verdrängte Bewusstsein der Schuld bricht in ihm durch. Tage später sucht er die Unglückstelle auf, um sich vor einen Zug zu werfen und begegnet dort den Toten. Posaunen klingen in der Ferne (das Jüngste Gericht ist nahe) Der Streckengeher und der Lokführer des Unglückszugs möchten ihn in den Tod locken, Anna ihm das Leben erhalten. Kann Hudetz es mit seinem Gewissen vereinbaren, sich der Verantwortung zu entziehen? Er entscheidet sich für das Leben. Er muss am Leben bleiben, um die Schuld auf sich nehmen zu können und um sich zu verantworten: „Die Hauptsach ist, dass man sich nicht selber verurteilt oder freispricht.“



Von den Dorfbewohnern wird der Bahnhofsvorsteher Thomas Hudetz mit folgenden Worten beschrieben: "Er ist ein wirklich tüchtiger Mann, ein gebildeter, höflicher, emsiger Charakter, ein selten strammer Mensch! Der scheut keine Arbeit, er trägt die Koffer, vernagelt die Kisten, stellt die Weichen, steht am Schalter, telegraphiert und telephoniert: - alles in einer Person!“ / „ein kreuzbraver, beliebter Mann“

Hudetz ist durch und durch Beamter. Pflichtstarr. Hält sich immer an alle Regeln und Verordnungen. „Ich war immer ein pflichttreuer Beamter!“ betont er immer wieder und zementiert damit seine Fassade der Respektierlichkeit. Diese starre Rollenidentität trägt er wie ein Schutzschild, das undurchlässig ist für Zweifel oder ein Hinterfragen. Er fühlt sich nicht schuldig und lehnt jegliche Verantwortung ab. Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Sich eine Schuld einzugestehen würde das Bild, das er von sich präsentiert, verfälschen. Am Ende kann er sich aber doch nicht der immer lauter werdenden Stimme seines Gewissens entziehen und übernimmt die Verantwortung für sein Tun.


Fortsetzung